„Quak, quak“. Dieses Geräusch weckte Cora am nächsten Morgen aus ihren schönsten Träumen. In ihrem Zimmer war es bereits taghell und die Sonnenstrahlen, die durch das Fenster hineinfielen, kitzelten sie an ihrer Nase. Seit dem Umzug hatte Cora nicht mehr so tief und fest geschlafen wie heute. Deshalb dachte sie zunächst das Quaken sei noch ein Teil ihres Traumes, nicht wirklich echt.
Verschlafen rieb Cora sich die Augen. Ihr erster Blick fiel auf die ungewöhnliche Flasche, die auf ihrem Nachttisch stand und sofort erinnerte sie sich an alles: der Gartenteich, die Flasche mit dem Hustensaftgeruch und der darin gefangene Frosch. Voller Tatendrang und gut gelaunt hüpfte Cora aus dem Bett.
„Guten Morgen, Frosch. Du armer Kerl sitzt immer noch in dieser blöden Flasche fest“, begrüßte sie ihren neuen Freund.
Wie zur Antwort, ertönte ein lautes „Quak, quak“.
„Bestimmt ist Papa schon aufgestanden und weiß wie wir dich befreien können“, antwortete Cora.
Sie lief ins Badezimmer. Waschen und anziehen, das schaffte Cora alles ganz alleine, sogar die Schuhe konnte sie schon binden. Mama musste ihr nur die Haare bürsten, weil das immer so schrecklich ziepte.
Als sie fertig war, schnappte Cora die Flasche samt Frosch und lief nach unten in die Küche. Sie wunderte sich, dass Tims Zimmertür offen stand. Wenn dieser Langschläfer schon aufgestanden war, dann war es bereits sehr spät.
„Guten Morgen, du kleines Murmeltier“, sagte Mama und gab ihr einen Kuss.
Papa und Tim waren nirgendwo zu sehen. Kein Wunder, es war schon zehn Uhr. Cora konnte die Uhrzeit noch nicht fehlerfrei lesen, aber mit den vollen Stunden klappte es bereits ganz gut. Das war ja auch einfacher, als diese komplizierte Minutensache.
„Papa musste dringend ins Büro“, sagte Mama. „Und Tim spielte im Garten Fußball."
„Was sonst!“, dachte Cora verärgert.
In letzter Zeit hatte ihr Bruder nichts anderes im Kopf, nur noch Fußball. Und Papa war weg, zur Arbeit ins Büro - ausgerechnet heute! Dabei hatte er versprochen, gleich nach dem Frühstück mit ihr gemeinsam den Frosch zu befreien.
Cora saß zusammen mit Mama am Küchentisch und löffelte etwas missmutig ihr Lieblingsmüsli, als es plötzlich ziemlich laut schepperte und klirrte. Erschrocken sprang Mama auf und lief nach nebenan.
Mitten im Wohnzimmer lag Tims Fußball und rundherum war alles voller Scherben.
Ihr großer Bruder stand mit hängendem Kopf und schuldbewusster Miene draußen vor dem kaputten Fenster.
„Tschuldigung, war echt keine Absicht. Nur ein misslungener Eckstoß“, stammelte er reumütig.
In solchen Fällen war Mama wirklich spitzenklasse. Ohne groß zu schimpfen, erklärte sie einen Teil des Gartens mit sofortiger Wirkung zur fußballfreien Zone. Der nächste ungenaue Schuss würde das Haus nicht mehr treffen und für Mama war die Sache damit erledigt. Klar, dass Tim direkt damit einverstanden war.
Coras Mutter nahm einen Besen und kehrte die Scherben zusammen, dann griff sie zum Telefon und rief einen Handwerker an, der die Scheibe ersetzen sollte.
Der Handwerker hatte ausnahmsweise sofort Zeit und stand schon kurz darauf an der Haustür. Cora folgte ihm ins Wohnzimmer und sah ihm interessiert bei seiner Arbeit zu. Zunächst entfernte er die restlichen Glasstücke vom Fensterrahmen, dann schnitt er eine neue Scheibe in die passende Form und setzte sie ein.
Durch die ganze Aufregung hatte Cora ihren Frosch völlig vergessen. Erst als sie sein Quaken hörte, fiel ihr der arme Kerl wieder ein. Wenn Papa den ganzen Tag im Büro war, wer würde ihn dann befreien?
Bestimmt könnte dieser Mann das tun, doch dazu müsste man ihn erst einmal fragen. Cora war sehr schüchtern und traute sich nicht recht, ihn darum zu bitten. Aber der Frosch tat ihr leid und sie wollte ihn nicht noch länger hilflos in der Flasche sitzen lassen. Also nahm Cora all ihren Mut zusammen und stellte sich mit der Flasche in der Hand vor den Mann.
„Papa ist nicht da. Hilfst du mir, den Frosch aus der Flasche zu befreien?“
Amüsiert betrachtet der Mann das kleine Mädchen mit der sonderbaren Flasche in der Hand.
„Na, wenn dein Papa nicht da ist, muss ich dir wohl helfen, oder? Wie ist der Frosch denn da hineingekommen?“, wollte er wissen und lächelte freundlich.
Cora zuckte mit den Schultern.
„Weiß nicht. Wir haben die Flasche im Teich gefunden und er saß schon drin.“
„Na, dann lass mal sehen“, sagte der nette Handwerker.
>Gezielt griff er in seine Werkzeugtasche, legte die Flasche auf den Fenstersims und fing an das Glas ganz vorsichtig direkt über dem Flaschenboden einzuritzen. Dann nahm er eine große Zange, hielt die Falsche am Hals fest und löste damit den Flaschenboden. Ohne zu splittern, brach das Glas entlang der eingeritzten Linie. Der Frosch hatte sich währenddessen in die hinterste Ecke seines Gefängnisses verzogen, ganz oben am Flaschenhals. Als der Boden wegbrach, sprang er mit einem großen Satz direkt auf Coras Arm.
Normalerweise hätte Cora den Frosch ängstlich schreiend von sich heruntergeschubst. Doch heute war alles anders. Seltsamerweise fürchtete Cora sich nämlich überhaupt nicht.
Vorsichtig setzte sie den Frosch auf ihre Handfläche. Er fühlte sich kalt und etwas glitschig an.
„Hurra, du hast ihn befreit!“, jubelte Cora und bedankte sich höflich bei dem netten Mann.
Mama war auch sehr froh, denn sie wollte die schlecht riechende Froschflasche nicht noch länger im Haus haben. Sofort bat sie Cora, den Frosch zurück zum Teich zu bringen.
„Nein! Er soll in meinem Zimmer wohnen und nicht in diesem doofen Teich. Ich will ihn behalten!“, jammerte Cora und fing vor Enttäuschung an zu weinen.
„Auf gar keinen Fall“, sagte Mama in dem speziellen Mama-Ton, der jede weitere Diskussion sinnlos machte.
„Ein Frosch ist kein Haustier. Es tut ihm nicht gut, in einem Haus gefangen zu sein und außerdem ist es sogar verboten“, erklärte sie überzeugt.
Dann wartete Mama so lange, bis Cora samt Frosch im Garten war, bevor sie nach oben ging, um mit Tim Rechnen zu üben. Die Siebener-, die Achter- und die Neunerreihe musste ihr großer Bruder in den Ferien üben und weil er auch den Rest nicht besonders gut beherrschte, würde das einige Zeit dauern.
Mit Tränen in den Augen stand Cora ganz allein am Gartenteich. Sanft streichelte sie ihrem neuen Freund über den Rücken, um ihm Lebewohl zu sagen. Genau genommen war es bestimmt richtig, dass ein Frosch kein Haustier war. Zumindest kannte Cora niemanden, der einen Frosch Zuhause hatte. Wenn er jedoch erst einmal im Teich war, würde sie ihn bestimmt nie mehr wiedersehen.
Nein, Cora brachte es nicht übers Herz. Sie konnte ihn nicht sofort im Garten absetzen, wo er doch gerade erst aus der Flasche befreit worden war. Auch wenn Cora ganz genau wusste, dass es nicht richtig war, schlich sie sich samt Frosch zurück ins Haus. Sie nahm ihn mit in ihr Zimmer, obwohl Mama es ausdrücklich verboten hatte. Cora wollte ihren neuen Freund nur noch einen Tag und eine Nacht lang behalten, dann würde sie ganz bestimmt tun, was Mama gesagt hatte.
Sie setzte den Frosch in die große Plastikschüssel aus ihrer Kinderküche und füllte etwas Wasser hinein. Das schien ihm zu gefallen, denn sofort begann er, zu schwimmen.
Den ganzen Mittag spielte sie mit ihrem neuen Freund, bis sie hörte, dass Papa nach Hause gekommen war. So spät war es schon?
Schnell versteckte Cora die Schüssel samt Frosch unter ihrem Bett und lief nach unten. Dieser Tag war so schnell vergangen. Na ja, es war schließlich auch einiges passiert und das wollte Cora ihrem Papa jetzt alles sofort erzählen.
Nach dem Essen sagte Mama „Gute Nacht“ und Papa wollte sie nach oben in ihr Zimmer bringen und ihr noch eine Geschichte vorlesen. Da konnte Cora es nicht mehr länger aushalten. Sie musste Mama einfach alles beichten und ihr den Frosch zeigen. Sonst könnte sie nicht schlafen. Mama guckte zuerst ziemlich böse, aber dann lachte sie und freute sich, dass Cora ihr die Wahrheit gesagt hatte. Cora musste ihr allerdings ganz fest versprechen, den Frosch morgen zurück zum Gartenteich zu bringen.
Als ihr die Augen vor Müdigkeit schon beinahe zufielen, dachte Cora fest an ihren Frosch. Bestimmt war er etwas ganz besonderes, so wie der Frosch im Märchen. Sie würde ihn mit einem Kuss in einen Prinzen verwandeln und dann wäre sie selbst eine Prinzessin.
Weiter konnte Cora nicht mehr denken, denn die Müdigkeit hatte gesiegt und die kleine Prinzessin schlief tief und fest ein.