Cora hat große braune Augen und dunkelbraunes, schulterlanges, lockiges Haar. Sie ist ein ganz normales Mädchen, genauso wie du oder deine Freundin. Cora ist fast fünf, um genau zu sein 4 Jahre, 11 Monate und 15 Tage. Ihr Bruder Tim ist acht und schon in der dritten Klasse. Er denkt, dass Cora noch ein richtiges Baby ist, obwohl das überhaupt nicht stimmt. Sie ist nicht mehr klein, nur sehr ängstlich und schüchtern. Tim ist ganz anders. Er ist mutig, manchmal etwas zu wild und überhaupt kein Angsthase. Cora glaubt, dass er deshalb so leicht Freunde findet. Sie bewundert Tim und wünscht sich, genau so zu sein wie er: furchtlos und selbstsicher.
Zu Beginn der Osterferien, vor zwei Tagen, ist Cora mit ihrer Familie umgezogen. Vor einigen Wochen hatten ihre Eltern ein altes Haus mit einem schönen Garten gekauft. Das Haus lag etwas abseits am Rand des Dorfes, in dem sie jetzt wohnten. Im Garten gab es einen Teich, der groß genug war, um darin zu schwimmen.
Alles dort war ganz anders als in der Stadt. Tim fand es super: ein Haus, in dem nur sie alleine wohnten, sein eigenes Zimmer, der Garten mit der großen Wiese und einem Baumhaus, das er dort entdeckt hatte. Er freute sich schon auf den Sommer, dann würde er mit seinen Freunden im Teich baden. Die Wiese neben der Veranda hatte er sofort zu seinem ganz persönlichen Fußballplatz erklärt. Trotz des Umzugs musste er nicht einmal die Schule wechseln und würde daher keinen seiner Freunde verlieren.
Cora hingegen fand alles absolut schrecklich. Nach den Ferien sollte sie in einen neuen Kindergarten gehen und dort kannte sie niemanden. Auch wenn sie in der Stadt keine beste Freundin zurückließ, wusste sie immerhin, welche Kinder ihrer Gruppe gemein waren. Denen durfte man nicht in die Quere kommen, dann ließen sie einen meistens in Ruhe und man wurde nicht allzu oft herumgeschubst und geärgert.
Den Teich fand Cora doof, was wahrscheinlich daran lag, dass sie noch nicht richtig schwimmen konnte. Das große Haus, der Garten und vor allem der nahe gelegene Wald machten ihr Angst. Besonders wenn es Abend wurde, fürchtete Cora sich sehr. Alles ringsum war dann ungewohnt dunkel. Die einzige Straßenlaterne stand ein gutes Stück vom Haus entfernt und leuchtete sehr spärlich. In der Stadt war das vollkommen anders. Dort wurde es auch nachts nie richtig dunkel.
Mama und Papa konnten Coras Ängste nicht immer nachvollziehen, aber sie versuchten, Cora zu verstehen und wollten ihr helfen. Sie hatten ihr jedes einzelne, neue Geräusch, vor dem sie sich fürchtete, erklärt: das Summen, wenn der Wind zwischen den Bäumen hindurch wehte, das Rascheln der Blätter, das Knarren und Ächzen der alten Holzdielen im Treppenhaus oder das Klappern der Fensterläden. Oft hörte man auch Tierlaute, wie den Ruf des Kauzes oder so wie gestern das Röhren eines Hirsches. Damit es in Coras neuem Zimmer nicht so dunkel war, hatten sie ihr ein wunderschönes Nachtlicht gekauft, das die ganze Nacht hindurch leuchtete und dabei ständig die Farbe wechselte. Ihre Zimmertür blieb offen und der Lichtkegel aus dem Treppenhaus sorgte für zusätzliche Helligkeit.
„Wenn du dich erst einmal an alles Neue gewöhnt hast, dann verschwindet die Angst ganz von selbst“, sagte Mama.
Und Papa hatte ihr versprochen, dass er mit ihr Schwimmen üben würde, sobald der Gartenteich in Ordnung gebracht und das Wasser warm genug war.
Heute wollten Papa, Tim und Cora den Teich erst einmal säubern. Er sah im Moment wirklich nicht besonders schön aus. Lauter grünes Zeug schwamm darin: faulende Seerosenblätter, Algen, abgebrochenes Schilfrohr, kleine Äste und Blätter. Und das machte das Wasser unansehnlich trüb.
„Los geht’s. Machen wir uns an die Arbeit“, sagte Papa und drückte jedem einen Köcher mit einem langen Stiel in die Hand.
Tim fing sofort eifrig an, alles aus dem Wasser zu fischen, was er erwischen konnte. Etwas zögerlich ging auch Cora schließlich ans Werk. Eigentlich war das gar nicht schwer und nach einiger Zeit klappte es sogar richtig gut.
Wie so oft hatte Tim allerdings rasch keine Lust mehr. Als sein neuer Freund Max anrief, war es mit seinem Arbeitseifer endgültig vorbei. Er verabredete sich zum Fußballspielen und nur fünf Minuten später war Max bereits da.
Gerade als Cora hörte, wie Max laut „Tor“ schrie, merkte sie, dass sich etwas Schweres in ihrem Köcher verfangen hatte. Sie schaffte es alleine nicht, ihn aus dem Wasser zu heben, darum half Papa mit.
Cora entleerte ihren Köcher auf der Wiese und zum Vorschein kam eine alte, sonderbar geformte Flasche. Wie ein dicker Bauch, so kugelrund war sie. Der Flaschenhals machte zunächst eine Kurve, bevor er eng zusammenlief und endete. Die Flasche selbst war schon recht ungewöhnlich, doch noch ungewöhnlicher war ihr Inhalt. Darin saß ein Frosch.
„Das ist aber seltsam“, sagte Papa. „Wie kommt der Frosch in die Flasche? Er ist doch viel zu groß, um durch den engen Flaschenhals hineinschlüpfen zu können!“
Da hatte Papa recht, denn in diesem Moment versuchte der Frosch vergeblich, sich aus seinem gläsernen Gefängnis zu befreien. Das Wasser war ausgelaufen und von der Flasche ging jetzt ein seltsamer, sehr intensiver Geruch aus. Es roch ganz ähnlich wie dieser Hustensaft, den Cora so besonders ekelhaft fand.
Wie also kam der Frosch in die Flasche? Das war die große Frage, die auch Coras Vater nicht beantworten konnte - obwohl Papa ihr selten einmal eine Antwort schuldig blieb.
Der Frosch in der Flasche hieß Felix und die Geschichte, wie er dort hineingekommen war, war eigentlich nicht sehr kompliziert.
Vor gar nicht allzu langer Zeit, war Felix noch eine winzige, gerade erst geschlüpfte Kaulquappe gewesen. Seine Eltern hatten ihn schon vor der Geburt verlassen, so wie das bei Fröschen üblich war. Zusammen mit Hunderten Kaulquappengeschwistern war er geschlüpft, um dann neugierig und voller Tatendrang die Welt, um genauer zu sein den Gartenteich, zu erkunden. Es gab so Vieles zu entdecken und auszuprobieren und natürlich wurde den ganzen Tag über gespielt. So wie alle anderen Kinder auch, liebte Felix es, mit seinen Geschwistern herumzutoben und sich neue Spiele auszudenken.
Gerade, als sie wieder einmal ein Wettschwimmen machten, passierte es. Ganz plötzlich, wie aus dem Nichts, tauchte ein riesiger Fisch auf und schnappte nach ihnen. Augenblicklich war es mit dem Spaß vorbei. Jetzt ging es um Leben und Tod. Felix schwamm so schnell, wie noch nie zuvor in seinem Leben. Mit aller Kraft versuchte er, dem Fisch zu entkommen, der ihm bereits dicht auf den Fersen war.
Fast konnte er schon spüren, wie das riesige Maul hinter ihm zuschnappte, als direkt vor ihm ein kleines Rohr auftauchte. Ohne lange zu überlegen schwamm er hinein. In allerletzter Sekunde entkam er dem hungrigen Fisch, der zum Glück viel zu groß war, um durch die enge Öffnung hindurchzupassen.
Nachdem Felix etwas zu Atem gekommen war, sah er sich um und im nächsten Moment erstarrte er vor Schreck. Unfähig sich auch nur einen Millimeter zu bewegen, sah er das geöffnete Maul des Fisches. Aber was war das? Der Fisch wurde ganz dicht vor ihm plötzlich abrupt von einer unsichtbaren Wand gestoppt. Felix wusste noch nicht, dass er ins Innere einer Glasflasche geschwommen war und diese ihn vor dem Angriff des Fischs schützte. Und auch der Fisch verstand nicht sofort, warum er diesen Leckerbissen klar und deutlich sehen konnte, es ihm jedoch unmöglich war, ihn zu schnappen. Wütend umkreiste er mehrmals die Flasche, bis er schließlich aufgab und irgendwo im Teich verschwand.
Seit diesem Tag war die Flasche Felix neues Zuhause. Es war perfekt! Durch die Flaschenöffnung kamen ständig neues Wasser und frische Nahrung hinein. Das Innere der Flasche bot genügend Platz, damit er hin und her schwimmen konnte. Und das Wichtigste: Hier war Felix absolut sicher!
Ab und zu traute er sich hinaus, weil er hoffte, auf eines seiner Kaulquappengeschwister zu treffen. Aber er blieb dabei stets in der Nähe seiner Flasche.
Obwohl Felix merkte, dass sein Körper sich veränderte und es von Mal zu Mal schwieriger wurde, durch den engen Flaschenhals zu schwimmen, wollte er nicht auf sein sicheres Zuhause verzichten.
So passierte, was zwangsläufig passieren musste: Es kam der Tag, an dem Felix es nur mit größter Mühe schaffte, sich durch den schmalen Flaschenhals hindurch ins Innere der Flasche zu zwängen. Doch ganz egal wie sehr er sich auch anstrengte, hinaus kam er nicht mehr. Felix war gefangen!
Als er schon längst aufgegeben hatte und nicht mehr an eine Rettung glaubte, bewegte sich sein gläsernes Gefängnis plötzlich. Das war der Moment gewesen, in dem Cora zusammen mit ihrem Papa die Flasche aus dem Wasser gehoben hatte.
Natürlich kannten Cora und ihr Vater diese Geschichte nicht. Die beiden sahen nur einen großen Frosch, der in einer engen Flasche festsaß. Sie überlegten, wie sie ihn aus dieser misslichen Lage befreien könnten, ohne ihm dabei zu schaden.
Coras Vater wollte keine rechte Lösung einfallen. Er war von der anstrengenden Arbeit müde und hungrig und es wurde auch bereits dunkel. Von Coras Idee, den Frosch samt Flasche erst einmal mit ins Haus zu nehmen, war Papa nicht sehr begeistert. Er wollte ihr diesen Wunsch jedoch nicht abschlagen. Als Belohnung dafür, dass Cora ihm so gut bei der Gartenarbeit geholfen hatte, war er daher einverstanden.
Cora füllte gerade etwas Wasser in die Flasche, als sie Mama rufen hörte: „Das Abendessen ist fertig!“
Zum Essen musste man Cora heute nicht zweimal bitten. Mit ihrem Fundstück unter dem Arm lief sie ins Haus.
Die Froschflasche stellte Cora auf den kleinen Tisch neben ihrem Bett. Dann lief sie ins Badezimmer, um sich die Hände und das Gesicht zu waschen, bevor sie schnell hinunter in die Küche stürmte. Mama ärgerte sich mächtig, wenn das Essen auf dem Tisch stand und langsam kalt wurde, weil alle auf sich warten ließen. Mama verärgern wollte Cora natürlich nicht, denn sie war die Allerbeste, genauso wie Papa der weltbeste und liebste Papa war.
Noch während des Abendessens wurde Cora plötzlich so müde, dass ihr im Sitzen die Augen zufielen. Mama machte eine Katzenwäsche und half ihr beim Zähneputzen. Dann steckte sie Cora in ihren Lieblingsschlafanzug, den mit dem Märchenschloss und Dornröschen vorne drauf und Papa brachte sie huckepack nach oben in ihr neues Zimmer.
An diesem Abend waren Cora alle neuen, fremden Geräusche egal. Schon bevor ihr Kopf das Kissen richtig berührt hatte, war sie tief und fest eingeschlafen.