Die Zeit vor dem Schlafengehen ist einer der kostbaren Momente, den wir mit unseren Kindern teilen dürfen.
Kigunage, 2012
Wie schön und friedlich es am frühen Morgen im Wald war. In allen Farben des Regenbogens glitzerten die Tautropfen auf den Pflanzen um die Wette. Zarte Nebelschleier hingen noch vereinzelt über den Lichtungen und im Geäst.
Nach und nach weckten die Sonnenstrahlen alle Bewohner des Waldes. Hier raschelte es im Unterholz, dort knackte das Geäst und die Vögel zwitscherten ihr Morgenlied. Das helle Licht der Sonne erweckte den Wald zum Leben.
Hoa war schon lange vorher wach. Bereits mit Beginn der Dämmerung machte er sich jeden Morgen auf den Weg. Er war ein absoluter Frühaufsteher. Ein ausgiebiges, schmackhaftes Frühstück stand als Erstes auf seinem Tagesprogramm. Seine absolute Lieblingsspeise waren Getreidekörner. Doch die konnte man nicht ganz gefahrlos bekommen. Man musste den Schutz des Waldes verlassen und kam den Menschen dabei oft sehr nah.
Gut für Hoa, dass sich ein großes Feld mit erntereifem Weizen direkt am Waldrand befand. Solange es noch nicht richtig hell war, riskierte er es, sich einige der leckeren Körner zu stibitzen.
Dann knabberte er noch eine der köstlichen Wurzelknollen, die man auf seiner Lieblingswiese in Hülle und Fülle ausgraben konnte, und sein Frühstück war perfekt. So konnte der Tag beginnen!
Nach dem Essen sauste Hoa für gewöhnlich noch eine Runde durch den Wald. Jetzt, nachdem die Langschläfer unter den Waldbewohnern endlich aufgestanden waren, konnte man hier und da ein kleines Schwätzchen halten. So erfuhr Hoa alle Neuigkeiten, die es aus dem Wald zu berichten gab.
Meist machte er es sich nach seiner Morgenrunde vor seinem Bau gemütlich und ließ sich die Sonne auf sein Fell scheinen.
Heute jedoch würde er diesen gemütlichen Teil wohl oder übel streichen müssen, denn auf dem Nachhauseweg begegnete er der völlig verzweifelten Rehmutter.
„Hast du Lulu, mein kleines Kitz, gesehen?“, wollte sie ganz aufgeregt wissen. „Ich war nur ganz kurz auf Futtersuche. Lulu sollte in ihrem Versteck auf mich warten. Doch als ich zurückkam, war sie verschwunden. Jetzt suche ich sie schon seit einer ganzen Stunde! Wo kann sie nur sein?“
„Nein, leider bin ich Lulu nicht begegnet. Aber meine Freunde und ich könnten dir bei deiner Suche helfen. Gemeinsam werden wir sie ganz bestimmt finden“, antwortete Hoa und sauste zum hohlen Baumstamm.
Wie vereinbart, fing er an zu trommeln. Jetzt wussten seine Freunde, dass er ihre Hilfe brauchte. Er musste gar nicht lange warten, schon waren Berry und Bo da.
„Was ist passiert?“, wollte Berry noch etwas außer Atem wissen.
„Das Rehkitz Lulu ist verschwunden. Seine Mutter hat schon überall gesucht und macht sich schreckliche Sorgen. Wir müssen ihr unbedingt helfen!“
„Wenn die Mutter schon gründlich gesucht hat, dann brauchen wir die Hilfe einer besonders guten Spürnase, um Lulu zu finden. Vielleicht sollten wir den Fuchs bitten, bei der Suche mitzuhelfen? Mit seiner guten Nase könnte er das Kitz ganz bestimmt finden“, schlug Bo vor.
„Das ist eine gute Idee. Bestimmt sagt er nicht Nein. Er schuldet mir noch einen Gefallen“, antwortete Berry. „Erst letzte Woche habe ich ihn vor meinem Damm aus dem Wasser gefischt. Beim Jagen ist er dort hineingefallen. Der Fuchs hat zwar eine gute Nase, aber schwimmen kann er wirklich nicht sonderlich gut.“
Die drei Freunde machten sich sofort auf den Weg zum Fuchsbau. Sie hatten Glück: Der Fuchs faulenzte gerade gemütlich in der Sonne, als sie dort eintrafen. Daher war er auch nicht sonderlich begeistert, als Berry ihn um seine Hilfe bat. Aber er war dem Biber schließlich noch etwas schuldig. Zusammen machten sie sich auf den Weg zum verlassenen Versteck.
Die Rehmutter erwartete sie bereits ungeduldig. Sofort fing der Fuchs an, alles sehr gründlich zu beschnuppern. Mehrmals hintereinander schlich er im Kreis schnüffelnd um das Versteck herum. Schließlich war er sich sicher, die richtige Fährte gefunden zu haben.
„Hier müssen wir entlang. Los kommt alle mit!“
Die Tiere, denen sie auf ihrem Weg begegneten, blickten ihnen fragend hinterher. So etwas sah man schließlich nicht alle Tage. Ein Bär zusammen mit einem Hasen, einem Biber und einem Reh, die einem schnuppernden Fuchs kreuz und quer durch den Wald hinterherliefen.
Vor einer tiefen Grube blieb der Fuchs plötzlich stehen. Er schnupperte rund um das tiefe Loch.
„Hier ist die Spur zu Ende. Ich kann euch jetzt nicht mehr helfen.“
Schon war der Fuchs verschwunden.
Voller Sorge beugte die Rehmutter sich über die Grube und rief:
„Lulu, kannst du mich hören? Bist du dort unten?“
„Mama, hilf mir! Ich bin hier“, kam es ängstlich aus dem dunklen Loch.
Zusammengekauert in einer Ecke der tiefen Grube saß Lulu. Sie war dort unten gefangen.
Es war so langweilig gewesen, im Versteck auf ihre Mutter zu warten. Zur Abwechslung wollte Lulu nur einen kleinen Spaziergang im Wald machen. Dann der eine falsche Schritt und schon war Lulu in dieses Loch gestürzt. Hinausklettern konnte sie alleine nicht, denn die Wände waren viel zu glatt und zu steil.
Bo beugte sich über die Grube und versuchte Lulu zu erreichen, doch seine Arme waren zu kurz. Was nun? Wie sollten sie das arme Kitz aus dieser Lage befreien?
Alle überlegten angestrengt und dieses Mal war es Hoa, dem eine Lösung einfiel.
„Nicht weit von hier hat der Blitz in einen Baum eingeschlagen. Ein Teil des Stamms ist dabei abgebrochen. Bo könnte ihn in die Grube hinablassen und Lulu müsste nur noch über den Stamm nach oben klettern.“
Das hörte sich nach einem guten Plan an und sofort machten Bo und Hoa sich auf den Weg. Bo schleppte den Stamm zur Grube und ließ ihn vorsichtig hineingleiten.
Lulu konnte es kaum erwarten, endlich aus diesem dunklen Loch hinauszukommen. Sie kletterte schnell nach oben, doch leider war der Stamm etwas zu kurz. Bo musste sich ganz tief in die Grube bücken, damit das Kitz das letzte Stück über seinen Rücken in die Freiheit klettern konnte.
Geschafft! Alle Anstrengungen hatten sich gelohnt. Lulu war gerettet.
Nichts könnte schöner sein, als der Rehmutter dabei zuzusehen, wie sie überglücklich ihr Kind liebkoste. Lulu versprach ihrer Mutter, nie wieder ohne ihre Erlaubnis in den Wald zu laufen. Nachdem die Mutter sich etliche Male bei allen bedankt hatte, machte sie sich mit ihrem erschöpften Kitz auf den Heimweg.
Auch Berry, Bo und Hoa waren nach dieser Such- und Rettungsaktion ziemlich müde. Aber das störte sie nicht, denn sie waren sehr zufrieden, dass das Kitz mit ihrer Hilfe gerettet werden konnte.
Auf den Rückweg zum Fluss stolperte Berry über einen dicken Stein. Der Stein war ganz eigenartig mit Moos bewachsen. Deutlich konnte Berry ein Wort erkennen:
„Hey, schaut euch das an!“, rief Berry seinen Freunden zu. „Hier steht ein neues Wort zur Lösung unseres Rätsels.“
Stück für Stück kamen sie dem Geheimnis auf die Spur. „Kommt zu dem“ lautete die Botschaft jetzt. Schade, dass nur ein Wort erschienen war, denn so wussten sie noch immer nicht, was das alles zu bedeuten hatte.
Was soll’s. Jetzt würden sie sich erst einmal ausruhen. Berry freute sich nach dem anstrengenden Fußmarsch ganz besonders auf ein kühles Bad in seinem Teich und auf ein schönes Schläfchen danach.