Die Zeit vor dem Schlafengehen ist einer der kostbaren Momente, den wir mit unseren Kindern teilen dürfen.
Kigunage, 2012
Am Rande eines kleinen Teichs, dort wo sich das Wasser des Flusses noch sanft plätschernd staut, wohnte seit einigen Wochen der Biber Berry. Hier hatte er ein neues Zuhause gefunden.
An der Stelle des Flusses, an der er bislang gelebt hatte, konnte er keinen Tag länger bleiben. Zu Vieles hatte sich dort innerhalb kürzester Zeit verändert: Das Wasser floss mittlerweile über lange Strecken durch dicke Rohre. Von Woche zu Woche verschwand ein weiteres Stück des Flussbetts. Auch Berrys Staudämme und seine Wohnung waren von den Baumaschinen zerstört worden.
Auf der Suche nach einem neuen Zuhause war Berry schließlich hier, in diesem wunderschönen Wald, gelandet. Fleißig und flink hatte er innerhalb weniger Tage einen riesigen Damm gebaut und damit den Fluss gestaut. So war direkt vor seiner Haustür ein schöner Teich entstanden. Sein neues Zuhause, eine trockene Höhle am Rand des Damms, war wirklich zum Wohlfühlen. Ringsum fand man genügend Essbares, wie Kräuter, Sträucher und Wasserpflanzen. Espen, Erlen und Pappeln säumten das Ufer. Hier ließ es sich gut leben! Nahrung und Baumaterial gab es im Überfluss!
Wie an jedem Morgen begann Berry seinen Tag noch etwas verschlafen mit einem Kopfsprung in den Teich. Doch was war das? Noch im Sprung stellte er erschrocken fest, dass sein Teich verschwunden war. Das ganze Wasser -einfach weg! Nur eine kleine schlammige Pfütze war alles, was übrig geblieben war.
Platsch! Äußerst unsanft landete Berry im Dreck. So eine Ferkelei! Sein gerade noch schön glänzendes Biberfell war jetzt völlig mit Schlamm verdreckt. Die harte Landung kopfüber im Matsch war obendrein ziemlich schmerzhaft!
„Au, das wird ganz bestimmt eine dicke Beule“, jammerte Berry und rieb sich den Kopf.
Auch wenn niemand da war, der ihm zuhören konnte, setzte er laut schimpfend seine Selbstgespräche fort.
„Verflixt! Was ist denn hier passiert? Wo ist auf einmal das ganze Wasser?“
Alles Jammern war zwecklos. Einfach nur abwarten, ob das Wasser von alleine wiederkommen würde, kam für Berry nicht infrage. Einer solchen Sache musste man auf den Grund gehen. Er würde herausfinden, wo das Wasser geblieben war!
Berry ging wie alle Biber nicht gerne zu Fuß. Nur im Wasser war er in seinem Element und als Schwimmer einfach unschlagbar. Von seinem geplanten Vorhaben konnte ihn das jedoch nicht abbringen.
„Manchmal ist der Weg zum Ziel eben beschwerlich“, dachte Berry und marschierte los.
Eine geraume Zeit ging er bereits flussaufwärts, als nach einer Biegung urplötzlich ein großer Braunbär vor ihm stand.
Oh Schreck! Weglaufen war sinnlos. Mit einem Schritt hätte der Bär ihn eingeholt. Was also dann?
Berry versuchte es auf die charmante Tour. Er nahm allen Mut zusammen, setzte ein strahlendes Lächeln auf und sprach den Bären an:
„Hallo. Ich bin Berry und neu hier im Wald. Wie heißt du?“
Ganz so lässig wie beabsichtigt, klappte das Gespräch jedoch nicht. Berry konnte nicht verhindern, dass er leicht zitterte. Der Bär bemerkte diese Unsicherheit sofort und bemühte sich, den Neuen möglichst schnell zu beruhigen.
„Ich heiße Bo. Keine Angst, vor mir musst du dich nicht fürchten. Auf gar keinen Fall esse ich irgendetwas mit einem Fell. Weißt du, Haare im Mund finde ich absolut widerlich! Überhaupt mag ich am allerliebsten die leckeren Früchte, die im Wald wachsen, und manchmal fange ich mir auch einen Fisch.“
Puh! Das nennt man Glück! Ein so friedlicher Bär war gewiss ein guter Nachbar.
„Du weißt nicht zufällig, wo das ganze Wasser geblieben ist, Bo?“, konnte Berry nun fragen, ohne dabei länger zu zittern.
„Nein, ich bin auch bereits auf der Suche. Mein Durst ist schon riesengroß. Lass uns doch zusammen gehen.“
Für Berry war es das erste Mal, dass er sich mit einem Bären unterhielt. Er fand das wirklich sehr interessant. Gemütlich plaudernd folgten die beiden eine Zeit lang dem fast komplett ausgetrockneten Flussbett.
Srrrr!!! Um ein Haar hätte der vorbei sausende Hase, Berry über den Haufen gerannt.
„Hey, du Rüpel. Pass doch auf!“, rief Berry ihm leicht verärgert hinterher.
Der Hase blieb stehen. Allerdings achtete er sorgfältig darauf, genügend Abstand zu dem Bären zu halten. Dann blickte er fragend auf dieses seltsame Paar. Ein Bär und ein Biber so friedlich miteinander im Gespräch? Heute war wohl alles anders?!
Bo, der Bär, wusste sofort, dass der Hase nur aus Ängstlichkeit nicht näher kam. Es gefiel Bo überhaupt nicht, dass sich viele Tiere im Wald vor ihm fürchteten. Schließlich kann man auch dann höflich und nett sein, wenn man groß und stark ist! Rasch stellte Bo sich dem Hasen vor und wiederholte noch einmal seine Essgewohnheiten. Noch etwas misstrauisch kam der Hase daraufhin näher.
„Ich heiße Berry“, sagte der Biber. „Wer bist du? Und warum hast du es derart eilig?“
„Hoa, mein Name ist Hoa und jetzt muss ich dringend weiter. Das Wasser ist fort. Ich muss es schnell finden.“
„Bo und ich sind ebenfalls unterwegs, um herauszufinden, was mit dem Wasser passiert ist. Wenn du möchtest, können wir gemeinsam suchen. Du bist allerdings viel schneller als wir. Aber du könntest vorauslaufen und uns Bescheid geben, wenn du etwas Besonderes entdeckst.“
Damit war der Hase einverstanden und sofort sprang er davon. Berry und Bo waren noch nicht weit gekommen, als Hoa sehr aufgeregt zurückgestürmt kam.
„Ich hab’s gefunden. Kommt schnell, ich zeige es euch!“
Schon war der Hase wieder weg! Bo und Berry eilten hinterher und bereits kurz darauf standen sie vor einem riesengroßen Geröllhaufen. Ein Felsstück war abgebrochen und ins Flussbett gestürzt. Jetzt versperrte das Gestein dem Wasser den Weg.
„Oje, so ein riesiger Steinberg“, seufzte Berry verzweifelt. „Wie sollen wir den aus dem Weg räumen?“
„Das ist doch kein Problem“, meinte Bo und machte sich bereits an die Arbeit.
Er packte einen besonders dicken Brocken und dank seiner Bärenkräfte, schaffte er ihn mit Leichtigkeit zum Uferrand. Berry und Hoa halfen mit und räumten gemeinsam die kleineren Felsstücke aus dem Weg. Als so ein Teil des Hindernisses abgetragen war, begann das Wasser, langsam durch den Steinhaufen hindurchzusickern.
Ein großer langer Baumstamm hatte sich zwischen den Geröllmassen festgeklemmt und Bo schaffte es nicht, ihn alleine zur Seite zu räumen. Also zogen sie zu dritt mit aller Kraft daran.
Urplötzlich löste er sich und riss dabei einige dicke Gesteinsbrocken mit sich. Das angestaute Wasser schoss so blitzschnell durch die entstandene Lücke, dass den dreien keine Zeit blieb, sich in Sicherheit zu bringen. Ein kräftiger Wasserschwall packte sie und spülte sie flussabwärts.
Bo konnte sich gerade noch am Baumstamm festkrallen und schaffte es in letzter Sekunde, Hoas Pfote zu schnappen. So verhinderte er, dass der Hase unter Wasser gedrückt wurde. Berry jedoch war einfach weg! Überall nur schäumendes Wasser.
Eine ganze Zeit lang trieben Bo und Hoa flussabwärts. Angestrengt und besorgt hielten sie dabei Ausschau nach ihrem neuen Freund. Das Wasser beruhigte sich nur langsam. Und plötzlich war er da! Direkt neben dem Baumstamm tauchte Berrys Kopf auf.
„Da bist du ja, Berry. Wir hatten schon Angst um dich!“, riefen Bo und Hoa wie aus einem Munde.
„Keine Sorge, Wasser ist mein Element. Ich bin ein guter Schwimmer“, lachte Berry und kletterte auf den Stamm.
Berry war unverletzt, genau wie seine beiden neuen Freunde. Und jetzt machte ihnen diese ungeplante Bootsfahrt sogar mächtig Spaß. Vor Berrys Staudamm war sie dann jedoch zu Ende. Dort hatte sich bereits wieder ein kleiner Teich gebildet. Die drei stiegen von ihrem Stamm hinunter, um ihn dann gemeinsam aus dem Wasser zu ziehen.
„Oh, schaut mal, der Stamm ist fast hohl. Deshalb ist er auch so gut geschwommen“, stellte Hoa fest.
Vergnügt fing er an, mit seinen Füßen darauf herumzutrommeln. Bo und Berry fanden das witzig und trommelten sogleich eifrig mit. Ihre Baumstammmusik war überall im Wald zu hören. Das brachte Berry auf eine Idee.
„Wenn einer von uns in Zukunft Hilfe braucht, dann trommelt er einfach auf dem Stamm. Das ist nicht zu überhören und wir können uns hier treffen.“
Diese Idee fanden alle gut. Etwas müde von ihrem Erlebnis, verabschiedeten sie sich voneinander. Doch gerade, als sie nach Hause gehen wollten, passierte etwas Sonderbares.
Ein kurzer heftiger Windstoß fuhr durch die Bäume. Einzelne Blätter segelten durch die Luft, um genau vor ihren Füssen zu landen. Sie landeten nicht einfach kreuz und quer, wie es Blätter normalerweise tun. Nein! Sie bildeten ein Wort. In deutlich lesbarer Blätterschrift stand dort:
„Was hat das denn zu bedeuten?“, wollte Hoa wissen, als der Wind die Blätter bereits erneut packte und in alle Himmelsrichtungen verstreute.
„Das könnte der Anfang einer Botschaft sein! Lassen wir uns überraschen, wie es weiter geht“, antwortete Berry.
„Ja, aber das hat Zeit. Jetzt bin ich hungrig und müde“, sagte Bo und trottete los.
„Bis bald“, rief Berry ihm hinterher.
Auch für Hoa und Berry war es an der Zeit, sich auszuruhen.